Die Lean Projektmanagement Methodik im Bau
Weniger ist mehr – Der Wert der Reduktion auf das Wesentliche
In der heutigen Praxis der Projektsteuerung ist eine der größten Herausforderungen, den Überblick zu behalten und Projekte effektiv zu steuern. Oft wird dabei bei allen möglichen Prozessen zu viel Wert auf Dokumentation gelegt, die eher belastend als unterstützend wird. Doch wie viel Dokumentation ist notwendig, um Prozesse effizient zu gestalten, ohne den Überblick zu verlieren? Eine der grundlegendsten Einsichten in der Projektsteuerung lautet: Weniger ist mehr – und zwar auch bei der Dokumentation.
Viele kennen das Konzept des „Kleinen Schwarzen“ aus der Modewelt: Ein schlichtes, elegantes Kleid, das aufgrund von Purismus in Stil und Funktionalität überzeugt. In ähnlicher Weise funktioniert die Lean Methodik in der Projektsteuerung; Prozesse und Dokumentationen werden auf das Wesentliche reduziert. Der wahre Wert eines Projekts liegt nicht in der Masse an Dokumenten, sondern in der klaren und zielgerichteten Steuerung.
Praxisbeispiel: Die Dokumentationsflut in großen Infrastrukturprojekten
Ein klassisches Beispiel für unnötige Dokumentationsfluten sind große Infrastrukturprojekte. Häufig werden umfangreiche Projekthandbücher erstellt, die nicht nur das eigentliche Projektmanagement betreffen, sondern auch historische Daten, umfangreiche Risiken und Prognosen, die keinen direkten Einfluss auf das Tagesgeschäft haben. Ein Handbuch von mehreren Hundert Seiten, das in der Praxis nur selten zur Hand genommen wird, kostet nicht nur Zeit, sondern sorgt auch für Verwirrung.
In den von uns begleiteten Projekten reduzieren wir die Projekthandbücher auf die notwendigen Informationen – eine übersichtliche Struktur, die nur noch Handlungsanweisungen und die wichtigsten Prozessbeschreibungen enthält. Das Ergebnis ist ein deutlich gesteigerter Nutzwert für das Projektteam: Neue Mitarbeiter finden schneller Zugang zu relevanten Informationen, und die Anzahl der Rückfragen verringert sich signifikant. Das Handbuch wird zu einem praktischen Nachschlagewerk, das tatsächlich genutzt wird, anstatt eine bloße Papierflut zu erzeugen.
Die Kunst der Reduktion: Reporting mit Mehrwert
In der Projektsteuerung ist das Reporting eine wichtige Grundlage, um den Fortschritt zu messen und Entscheidungen zu treffen. Doch häufig wird der Aufwand für das Reporting überzogen. Unzählige Diagramme, unübersichtliche Tabellen und stundenlange Meetings führen nicht immer zu einem besseren Verständnis, sondern zu einem Informationsüberfluss, der eher verwirrt als aufklärt.
Praxisbeispiel: Reporting an die Geschäftsleitung/das Steering Committee
Ein typisches Beispiel für übermäßige Reporting-Dokumentation zeigt sich in vielen großen Bauprojekten. Häufig werden alle Details der Bauplanung und noch so marginale Änderung in das Reporting aufgenommen – oft mit wenig Mehrwert für die Lesenden. Das Resultat: Das Steering Committee ist überlastet mit Informationen, aber ohne klare Handlungsanweisungen. Die Qualität des Reports leidet.
In unseren Projekten wird das Reporting auf die jeweils vereinbarten Kernpunkte konzentriert: der aktuelle Stand des Projektes in gebotener Kürze, wesentliche Termine, Vergabestand, aktuelles Projektergebnis (Kostenübersicht), Mittelabflussplan, die wichtigsten Risiken und aktuelle Entscheidungen. Die Struktur ist einfach, die Informationen prägnant und auf das Wichtige reduziert. Diese ermöglichen einen soliden Überblick und zielgerichtete Entscheidungsfindung.
Vergabeprozesse: Die Tücke der Details
Vergabeprozesse sind ein weiteres Feld, in dem Dokumentation oft aus dem Ruder läuft. Besonders in großen Ausschreibungen ist der Druck groß, jede Entscheidung und jeden Schritt bis ins Detail zu dokumentieren. Dies führt nicht nur zu einem enormen administrativen Aufwand, sondern lässt auch wenig Raum für pragmatische, zügige Entscheidungen.
Praxisbeispiel: Dokumentation im Vergabeprozess
In unseren Bauprojekten vereinfachen wir beispielsweise bei der Auswahl von Bietern den üblichen Prozess: Statt einer langen Liste von Kriterien und endlosen Evaluierungen und dem Anfertigen mehrschichtiger Anbietervergleichsdokumente, konzentrieren wir uns auf die wesentlichen Leistungsmerkmale der Bieter und setzten einen klaren, übersichtlichen Bewertungsrahmen, der nicht nur eine Momentaufnahme ist. Wir setzen auf die Erfahrung der Bieter in ähnlichen Projekten und die Qualität ihrer Referenzen. Das Ergebnis ist eine schnellere Entscheidungsfindung, ohne dass die Qualität der Auswahl leidet.
Das richtige Maß an Dokumentation im Nachtragsmanagement
Das Nachtragsmanagement ist ein wesentliches Steuerungsmittel und die Basis für die Bildung von Rückstellungen. Auch hier wird häufig ein erheblicher Dokumentationsaufwand betrieben, der in vielen Fällen nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führt. Während es wichtig ist, Nachträge zu dokumentieren und ihre Ursachen sowie Auswirkungen zu analysieren, erfordert die Praxis häufig weniger detaillierte Berichterstattung, um handlungsfähig zu bleiben.
Controlling-Unterlagen: Mehr Wert durch Klarheit statt Umfang
Ein weiterer Bereich, in dem die Dokumentationslast in der Projektsteuerung oft explodiert, sind die Controlling-Unterlagen. Während eine präzise und regelmäßig aktualisierte Finanzdokumentation für die Projektsteuerung unerlässlich ist, wird dieser Prozess häufig durch übermäßigen Aufwand und unnötige Detailverliebtheit der Controller seitens des Auftraggebers erschwert. Vielmals ist aufgrund immer komplexer werdenden Firmenstrukturen ein Stakeholdermanagement erforderlich, weil sich beispielsweise Eigentümer und Nutzer der Immobilie unterscheiden. Auch Differenzierungen in CapEx und OpEx per se und per Stakeholder werden gefragter. Ein weiterer Faktor für umfangreichere Controlling-Unterlagen sind Einsparungen der Auftraggeber in den Einkaufs- und Controlling-Abteilungen. Dies führt häufig dazu, dass der Projektsteuerer ein Groß der internen Anforderungen an das Projektcontrolling übernehmen soll. Wenn dies schon unvermeidlich ist, sollten sich die Inhalte auf die Kernthemen fokussieren, denn ein gut gepflegtes Controlling versetzt uns in die Lage, das erwartete Ergebnis des Gesamtprojekts stets zuverlässig zu prognostizieren.
Praxisbeispiel: Komplexe Controlling-Berichte in einem Bauprojekt
Ein zentrales Werkzeug im Projektcontrolling ist der Mittelabflussplan, der die zukünftigen Zahlungen und Cashflows eines Projekts prognostiziert. In vielen Projekten wird dieser Plan jedoch regelmäßig – oft monatlich – mit unterschiedlichen Szenarien aktualisiert: einmal ohne Rückstellungen, dann mit den bereits bekannten Rückstellungen und schließlich mit allen Rückstellungen. Obwohl die Absicht dahinter ist, unterschiedliche Szenarien abzubilden und so eine möglichst präzise Planung zu erstellen, zeigt die Praxis, dass dieser Aufwand häufig keinen echten Mehrwert bietet.
Der Grund: Ein Mittelabflussplan stellt immer nur eine Momentaufnahme dar. Aufgrund der vielen Variablen, die in die Planung einfließen (wie etwa die tatsächlichen Rechnungsstellungen der Subunternehmer oder Lieferanten, die von der Baustellenabwicklung abhängen), ist es nahezu unmöglich, diese Zahlungen mit einer monatlichen Genauigkeit präzise zu prognostizieren. Es gibt immer eine gewisse terminliche Unschärfe, da die tatsächlichen Zahlungen oft erst viel später als ursprünglich geplant fällig werden – und das, obwohl die Pläne sorgfältig mit allen möglichen Szenarien gerechnet wurden.
Durch eine Reduktion auf vernünftige Intervalle, konnte das Projektteam den Mittelabflussplan als nützliches Steuerungsinstrument behalten, ohne sich in ständig wechselnden Szenarien und Detailberechnungen zu verlieren, die nur begrenzte Aussagekraft hatten.
Wie bei anderen Dokumentationsbereichen auch, kommt es im Controlling nicht auf die Masse der Daten an, sondern auf die Klarheit und Relevanz der Informationen. Ein zu umfangreicher Controlling-Bericht bietet keinen Mehrwert, wenn er die Entscheidungsprozesse eher verlangsamt als unterstützt. Die wahre Herausforderung besteht darin, komplexe finanzielle Zusammenhänge gemäß der Lean Methodik so zu vereinfachen, dass sie schnell verständlich sind und die richtigen Maßnahmen aufzeigen. Ein gutes Controlling sollte nicht nur die Zahlen widerspiegeln, sondern vor allem auch die Grundlage für fundierte Entscheidungen liefern.
Fazit: Weniger ist mehr – aber nicht ohne Risiko
Natürlich darf die Reduktion auf das Wesentliche nicht zu einem Verlust der Kontrolle oder der erforderlichen Transparenz führen. Die richtige Balance zwischen Effizienz und Dokumentation zu finden, ist eine der zentralen Herausforderungen der modernen Lean Projektsteuerung. Ein zu geringer Dokumentationsaufwand birgt Risiken, etwa dass wichtige Informationen verloren gehen oder Haftungsfragen nicht ausreichend geklärt werden. Doch eine dokumentationslastige Steuerung führt zu einer Überflutung an Daten, die in der Praxis niemand mehr sinnvoll nutzen kann.
Die Lösung liegt in der Fokussierung auf das Wesentliche: Die Dokumentation muss den Steuerungsprozess unterstützen, nicht behindern. Letztlich macht die Qualität der Steuerung den Unterschied – nicht der Umfang der Dokumentation. Sie braucht jedoch auch das Vertrauen in die eigenen Prozesse und den Mut, nicht jeden Schritt in tausenden von Seiten festzuhalten.