
Projekt im Verzug: Das Verdrängungs-Phänomen
Projektbeginn: Aller Anfang ist schwer
Setzen wir mal voraus, dass investitionswillige Bauherren einen Projektsteuerer beauftragen möchten und nehmen wir überdies die Idealkonstellation an, dass die Bauherren diesen auch in der Phase der Projektvision - also initial mit der Projektidee - beauftragt haben, dann wird in der Regel folgender Ablauf stattfinden: Die Projektsteuerung analysiert den Anarbeitungsgrad des Projektes und dabei insbesondere den Stand zur Nutzerbedarfsanforderung. Sind die Anforderungen, die Spezifikationen des Bauherrn so weit bekannt, dass ein Planungsteam mit der Planung des Gebäudes beginnen kann? In den meisten Fällen heißt die Antwort: Nein! Aber nicht nur das. In der Regel ist man weit weg von belastbaren und in sich konsistenten Planungsanforderungen entfernt.
Mit der Bekanntgabe des Ergebnisses ihrer Erstanalyse macht sich die Projektsteuerung meistens erstmal „unbeliebt“. Nicht nur, dass es viele Aufgaben auf der Bauherrnseite zu erledigen gibt, oft sterben mit diesen Aufgaben und erst recht mit den Ergebnissen die angedachten Termin- und Kostenvorstellungen. Ernüchterung macht sich breit. Gut ist, wenn diese Ernüchterung in die Erkenntnis mündet, dass die Defizite jetzt und mit entsprechender Manpower bearbeitet werden müssen. Nicht selten beginnt ab diesem Zeitpunkt ein zäher Prozess. Man war sich der Themen gar nicht bewusst, hat nicht das Fachpersonal oder keine Kapazitäten für die Bearbeitung.
Die Verdrängung ist allgewaltig
Ungewohnte und unbeliebte Aufgaben müssen erledigt werden. Aber getreu nach dem adaptierten Prinzip: „Was du heute kannst besorgen, … verschiebe gern auf „übermorgen“.“, werden die Aufgaben alle erstmal auf später verlagert. Dabei ist es jetzt noch vergleichsweise einfach, dem simplen Ruf des Marktes nach mehr Produktionskapazitäten zu folgen. Da geht es um die Erweiterung dessen, was man kann, was man weiß und was man schon immer so gemacht hat. Anders stellt sich das dar, wenn man den Blick in die Zukunft mit deutlichen inhaltlichen Veränderungen wagen muss. Wie sieht die Marketingstrategie der nächsten 20 Jahre aus? Müssen neue Produkte ins Portfolio aufgenommen werden? Benötige ich eine andere Produktionsumgebung?
Zugegeben, diese Aufgaben sind schwierig. Wer schaut schon gern in die Glaskugel, wer beschäftigt sich gern intensiv mit dem, was dem Unternehmen in Zukunft widerfahren kann? Diese Aufgabe ist mit Unsicherheiten, Unschärfen in der Prognose - ja manchmal sogar mit der Erkenntnis, dass man gar nicht weiß, wie sich ein bestimmtes Marktsegment entwickeln wird, verbunden. Die Aufgabe wird zum unbeliebten Thema. Man kann die Antworten nicht zuverlässig und gesichert geben. Das Management sieht sich zunehmend in Bedrängnis, etwas entscheiden zu müssen, was es nicht gern entscheiden möchte. Der Verdrängungsmechanismus setzt gnadenlos ein!
Als ob diese Aufgabe nicht schon schwierig genug ist, kommt auch noch die Projektsteuerung und fragt nach konkreten fachlichen Anforderungen, die sich aus der Zukunftsvision ableiten. Konkrete Anforderungen, die Grundvoraussetzungen für einen konventionellen Planungsbeginn mit Architekten, Tragwerksplanern, TGA-Planern usw. sind.
- Wurde der eigene Prozess- und Workflow verifiziert und auf Zukunftstauglichkeit geprüft?
- Liegt das Konzept flächenrelevanter Funktionen vor? Kennt man die Anforderungen dieser Flächen an Tragkraft, Hallenhöhe usw.?
- Kennt man die Anforderungen an die Produktionsumgebung (Klima, Reinheit, usw.)?
- Sind die technischen Anforderungen klar (Maschinenanlagenliste, Facility-Utility-Matrix, Medienanforderungen usw.)?
- Wurden die zu erwartenden Personalzahlen an die neuen Bedingungen hochgeschätzt?
Erfahrung der Projektsteuerung:
Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass Planungsprozesse ohne diese Erkenntnisse gestartet werden. Es versteht sich von selber, dass die Fragen des Planungsteams nach konkreten Spezifikationen kommen werden. Das liegt in der Natur der Aufgabe. Es versteht sich – eigentlich – auch von selber, dass die Bauherren die Antwort nur geben können, wenn die denkerische Vorleistung auf Bauherrenseite stattgefunden hat.
Man möge meinen, dass wir hier Plattitüden wiedergeben. Tatsächlich machen wir genau die Erfahrung, dass der Denkprozess der Bauherren in die Planungsphase verschoben werden. Man verlagert sozusagen den Geistesblitz, den man selber nicht leisten kann oder leisten möchte, in das Planerteam bzw. in eine Phase, wo er längst gedacht sein müsste. Der Verdrängungsprozess schwerer Entscheidungen richtet Schaden an. Der Planungsprozess kommt aufgrund fehlender Entscheidungen zum Stillstand. Nun muss man sich im Klaren sein, dass der nachzuholende Denkprozess im Allgemeinen zu veränderten Anforderungen führt. Anforderungen, die nur selten geringer als bisher bekannt werden. Meistens werden sie höher. Man kann ahnen, was jetzt passiert. Kostenrahmen und Zeitplan stimmen nicht mehr.
Ist es eine Plattitüde, ein völlig klarer Zusammenhang, von dem wir schreiben? Ja ist es. Aber sie passiert immer wieder und ist einer der Hauptgründe für eskalierende Kosten und Projektverzug. Deswegen greifen wir das Thema auch immer wieder auf.
Der Weg aus der Prokrastination
Verdrängungsmechanismen sind menschlich. Jeder kennt sie. Sie sind auch nicht komplett vermeidbar. Sie werden zum Problem, wenn die Verdrängung aus Unwissenheit; quasi unbewusst stattfindet. Wenn man gar nicht erkennt, dass die Aufgabe jetzt und nicht später behandelt werden muss. Dann ist die Hürde, ein unbeliebtes Thema zu verschieben, sehr gering.
Wie kann man diese ausgesprochen projektschädigende Entwicklung vermeiden?
Es gibt nur einen Weg und der ist alternativlos: Das Projekt muss von Anfang an durch ein in diesen Themen erfahrenes Projektmanagement begleitet werden. Dieses kann aus den eigenen Reihen kommen, sofern das Fachwissen und die Kapazitäten dafür vorhanden sind. Oder es muss durch ein externes Projektmanagement ergänzt werden. In Deutschland wird die externe Unterstützung als Projektsteuerung bezeichnet.