
Ohne technische Projektsteuerung wird’s teuer – der unterschätzte Erfolgsfaktor im Industriebau
Bei komplexen Bauvorhaben ist die technische Projektsteuerung ein Must-have
Erkennt ein Bauherr frühzeitig, dass die Vielzahl und Komplexität der Aufgaben im Projektmanagement bei Industriebauprojekten nicht allein zu bewältigen sind, ist es ein verantwortungsvoller und vorausschauender Schritt, eine externe Projektsteuerung hinzuzuziehen. In diesem Beitrag gehen wir davon aus, dass die grundlegenden Aufgaben einer externen Projektsteuerung bekannt sind. Zur Einordnung dennoch in Kürze: Eine externe Projektsteuerung kann sämtliche delegierbaren Aufgaben des Bauherrn übernehmen – und das in allen fünf zentralen Handlungsbereichen: Organisation, Qualitäten, Kosten, Termine und Verträge (siehe hierzu unseren Blogbeitrag: „Aufgaben des Projektmanagements, der Projektleitung und der Projektsteuerung“)
Weniger bekannt – und im Markt leider selten aktiv angeboten – ist hingegen die technische Projektsteuerung. In vielen Projekten bleibt sie im Hintergrund oder findet gar keine Berücksichtigung. Dabei ist sie insbesondere bei hochkomplexen Bauvorhaben ein entscheidender Erfolgsfaktor, wenn es um die Einhaltung von Kosten und Terminen geht.
Was unterscheidet die normale von der technische Projektsteuerung?
Unseres Wissens gibt es keine einheitliche gesetzliche oder normierte Definition für den Begriff „Technische Projektsteuerung“. Der Begriff beschreibt eine spezifische Form der Projektsteuerung mit starkem Fokus auf technische Aspekte eines Projektes. Natürlich gehört die Sicherstellung der technischen Projektziele zur Grundaufgabe des Projektsteuerers. Zu nennen sind da beispielsweise:
- Sicherstellung der technischen Machbarkeit
- Prüfung und Koordination von Planungen verschiedener Gewerke/Fachplaner
- Koordination technischer Schnittstellen
- Überwachung technischer Meilensteine
- Bewertung von Kosten Änderung bei technischen Anlagen
- Technisches Controlling
- Erkennen technischer Risiken
- Identifikation von Schnittstellen zwischen Prozess- und Gebäudeplanung
- Usw.
Kurz gesagt: Die normale Projektsteuerung umfasst in erster Linie organisatorische, kaufmännische und juristische Aufgaben. Die technische Projektsteuerung dagegen fokussiert speziell auf technische Inhalte und Fragestellungen.
Problemschnittstelle: Prozess <> Bauwerk
Schauen wir genauer auf die Schnittstelle zwischen Prozess und Gebäude: An diesem Punkt ist das Potential für Erfolg oder Nichterfolg hoch gewichtet. Das Leistungssoll der Architekten und Fachplaner ist oft auf die Grundleistungen und gegebenenfalls einige besondere Leistungen nach HOAI begrenzt. Damit ergibt sich fast zwangsläufig eine Untergewichtung der essenziellen Aufgaben an der Schnittstelle zwischen Prozess – also dessen, was das Unternehmen aufgrund seiner eigenen Ziele dringend benötigt – und der Gebäudeplanung. Es gehört nicht zum Aufgabenumfang das konventionellen Planerteams, sich intensiv mit dem Prozess des Unternehmens und insbesondere dessen Anforderungen zu beschäftigen. Das kann auch nicht mit Verweis auf die Leistungsphase 1 der HOAI erledigt werden. Es ist richtig, dass in dieser Phase die Spezifikationen des Auftraggebers eingesammelt werden. „Einsammeln“ bedeutet aber nicht „intensive Auseinandersetzung mit dem Unternehmensprozess“. Letzteres erfordert ein wesentlich tieferes Eintauchen in die prozessualen Zusammenhänge des Unternehmens und muss vom Unternehmen selbst eruiert und definiert werden. Diese – wir bezeichnen sie intern gerne – Phase Null kann durch einen Projektsteuerer moderiert und geleitet werden.
Erfahrene Projektsteuerer werden dies bereits in der Phase der Projektvorbereitung, also der Phase vor dem konventionellen Planungsstart, zu ihrer Aufgabe machen und das Unternehmen auffordern, tiefgründig über den eigenen zukünftigen Prozess und Workflow nachzudenken. Das ist für das investitionswillige Unternehmen manchmal eine leidige, aber nicht zu vermeidende Aufgabe. Ergebnis dieser Vordenkerarbeit ist die Spezifikation für die Planer - oft in Form von Prozesslayouts, Maschinenanlagenlisten, Facility Utility Matrizes, Raumbücher und anderes. Diese Themen müssen in wesentlichen Teilen bereits vor dem Planungsbeginn erarbeitet werden. Das Problem in der Praxis: Diese Vorarbeit passiert in der Phase der Projektvorbereitung meistens nicht mit ausreichender Tiefe. Genauer gesagt, die Themen werden zeitverzögernd in die Planungsphase verschoben.
Das passende Tool für die technische Projektsteuerung
Setzen wir mal voraus, das Planungsteam wurde mit einer gut durchdachten Spezifikation beauftragt, dann stellt sich die Frage, wie eine technische Projektsteuerung im Weiteren aussieht.
Hauptaugenmerk der technischen Projektsteuerung ist es, die Wechselwirkungen zwischen den Gebäude-Features mit den Abläufen des Prozess- und Workflows zu verifizieren. Reflektierend auf hochkomplexe Anforderungen (z.B. in der Halbleiter-, Raumfahrt- oder Pharmaindustrie) wird das Momentum des Zusammenspiels von Gebäude und Prozess zum Erfolgsgarant. Im Umkehrschluss führt die Nichtbeschäftigung zum Verfehlen der Projetziele. Das klingt hart, ist aber oft erlebte Praxis. Die Konsequenzen sind bekannt: Im schlimmsten Fall bedeutet es Rückbau; in jedem Fall aber Zeitverzug und Mehrkosten, denn nun muss nachgeholt werden, was vorher versäumt wurde.
Wie kann ein Projektsteuerer den Prozess also proaktiv begleiten? Ein von uns vor über 20 Jahren selbst kreiertes Tool ist die „Ereignismatrix©“. Diese ist in ihrer Funktionsweise ähnlich der mittlerweile allseitig bekannten Brandfallsteuermatrix. Sie ist aber wesentlich umfangreicher und in den Primärereignissen nicht auf Brandereignisse begrenzt. Vom Grundsatz werden alle möglichen Primärereignisse vertikal aufgelistet. Das beginnt mit den Ausfallereignissen der Stromversorgung, geht über die Brandereignisse und alle möglichen Ausfallszenarien der TGA bis hin zu bestimmten Wetterereignissen. Das Besondere: Auch Ausfallereignisse, die auf Prozessseite stattfinden und eine „Reaktion“ des Gebäudes verlangen, werden unter den Primärereignissen gelistet.
Die Horizontale der Matrix listet die TGA-Komponenten auf. Dazu kommen die Ereignisse wie „Räumungsalarm“ oder aber auch Meldungen an die verschiedenen Steuerungen (z.B. Gaswarnsysteme, Versorgungssysteme usw.). Und wiederum hier das Besondere: Auch Prozesskomponenten, wenn sie im funktionellen Zusammenhang mit dem Gebäude stehen, werden an dieser Stelle gelistet. Als erklärendes Beispiel sei ein Galvanikbad genannt, welches zwingend die Permanentabsaugung der EX-Luft erfordert. Was muss also an diesem Bad passieren, wenn das Primärereignis “Ausfall der EX-Prozessfortluft“ eintritt? Muss es eine zweite Prozessfortluft geben? Muss das Chemiebad automatisch in einen eigensicheren Zustand übergehen?
Durch die Ereignismatrix© werden diese Themen zwangsläufig behandelt. Anders gesagt, die Beschäftigung mit der Matrix deckt gnadenlos Zusammenhänge und Defizite auf, die man anderenfalls nicht erkannt hätte. Verlangt beispielsweise eine maschinelle Entrauchung nach Schaffung einer Zuluftöffnung zur Nachströmung als Kompensation der abgesaugten verrauchten Luft, dann würde dem Primärereignis „Aktivierung der maschinellen Entrauchung“ das entsprechende Sekundärereignis, „Öffnen einer Zuluftöffnung“ (z.B. durch ein Hallentor), zugeordnet werden. Es kann aber auch sein, dass die Feuerwehr solche Vorgänge nur manuell initiieren will. Dann würde genau das in der Ereignismatrix© in der Spalte mit der Überschrift „Hallentor“ stehen. Aus der Ereignismatrix© entsteht dann die Anforderung an den Planer, genau diese Ereignisabhängigkeit planerisch – unter Beachtung der Normative (z.B. Anforderungen an den Funktionserhalt) – umzusetzen.
Die Erfahrung aus nahezu 30 Jahren Projektsteuerung zeigt, dass die Ereignismatrix© zuverlässig Defizite aufdecken konnte. Das ist kein Vorwurf an die Planer, sondern eher ein Hinweis darauf, dass zur Identifikation von Problemen ein passendes Tool benötigt wird, welches hilft, die zweifellos komplexen Zusammenhänge beherrschbar zu machen.
Warum Zeitpunkt und Moderation entscheidend sind
Wann macht es Sinn mit der Bearbeitung der Ereignismatrix© zu beginnen?
Nach unserer Erfahrung sollte die Vorplanung der TGA-Gewerke im Wesentlichen abgeschlossen sein, denn dann sind die TGA-Komponenten bekannt, die in der Ereignismatrix© Berücksichtigung finden müssen. Es gibt Schemata, Anlagenbeschreibungen, Festlegungen zu Redundanzen, Man weiß, was Ersatzstrom braucht oder möglicherweise sogar unterbrechungsfrei versorgt werden muss. Man hat ein Serverraumraum-Konzept und eines für die passive IT-Struktur. Die Grundanforderungen an die Gebäudeleittechnik sind bekannt. Genau dann sollte auch die Erstversion der Ereignismatrix© entstehen, weil deren Erkenntnisse wiederum Planungsaufgaben generieren, die im Zuge der Entwurfsplanung zwingende Beachtung finden müssen.
Selbstverständlich kann TGA-Fachplaner die Erstellung und Moderation der Matrix übernehmen. Aufgrund ihres weit über die normale Planung hinausgehenden Charakters scheint es aber sinnvoller, diese Aufgabe dem Projektpartner zuzuordnen, der diesen Gesamtüberblick naturbedingt sowieso haben muss. Wir sehen die Aufgabe der technischen Projektsteuerung daher explizit bei der Projektsteuerung.
Zusammenfassung
Beim Bau komplexer Industriegebäude hängt der Projekterfolg maßgeblich vom gut funktionierenden Zusammenspiel von Gebäude und Prozess ab. Funktioniert das nicht, wird das Tagegeschäft des Unternehmens eingeschränkt bis hin zum Überdenken der Investition.
Eine technische Projektsteuerung ist bei solchen Projekten unverzichtbar. Richtig ausgeführt mit den geeigneten Tools ist sie Erfolgsgarant; sie spart Kosten und Zeit. Aufgrund des übergreifenden Charakters der Aufgabe ist ein professionelles Projektsteuerungsbüro, sofern es das Fachwissen zur Moderation solcher Projekte verfügt, erste Adresse für so eine Aufgabe.